Wien, 1604
„Vorgänge so ungeheuerlich, dass sie jeder Beschreibung entbehren!“, wetterte die Stimme des Mannes von der Kanzel herab. „Wider die Gesetze Gottes, die menschliche Natur, die Ordnung der Welt! Ein Weib so verderbt, dass es nur ein Geschöpf Satans sein kann, treibt ungehindert sein Unwesen, geschützt durch ihre hohe Geburt und ihre einflussreiche Verwandtschaft. Ich bitte euch, rechtschaffene Bürger dieser Stadt, betet für die armen Seelen eurer Schwestern, die den widerwärtigen Gelüsten dieser Frau ausgeliefert sind! Auf dass der Kaiser in seiner Macht und Weisheit, die Gott der Herr ihm geschenkt hat, diese Kreatur des Teufels in ihre Schranken weist!“
„In seiner Macht und Weisheit“, murmelte ein alter Mann ganz hinten in der kleinen Kapelle spöttisch, „hat der Kaiser in seinen Ländereien die lutheranische Konfession verboten, sodass wir uns nun heimlich treffen müssen. Wer ist denn dieser Kerl, der uns da drängt, den Kaiser um irgendwas anzuflehen?“
„István Magyari, ein ungarischer Kirchengelehrter“, belehrte ihn seine Tochter. „Er ist nach Wien gekommen, um sein Anliegen dem Kaiser vorzutragen.“
„Als ob der Kaiser auf einen Protestanten hört!“, meldete sich nun ein weiterer Mann zu Wort, der, allmählich ermüdet von der langen Predigt, lieber dem Gespräch seiner Nachbarn gelauscht hatte. Um seine Aussage zu bekräftigen, spuckte er in hohem Bogen Kautabak aus. Ein weiterer Zuhörer, davon getroffen, drehte sich empört um, konnte den Übeltäter aber in der Menge nicht entdecken.
„Dieser Magi-Irgendwas wäre besser in seiner Heimat geblieben, wo unsereiner sich nicht verstecken muss“, sagte der Alte zu seiner Tochter. „Egal, wie viele Teufelsweiber sich da herumtreiben, schlimmer als die katholischen Pfaffen, die uns jagen, können sie nicht sein. Was soll diese Hexe eigentlich angestellt haben, dass er deshalb bis nach Wien fahren muss, anstatt den Fall der ungarischen Obrigkeit zu übergeben?“
„Also wenn du von Anfang an richtig zugehört hättest“, wurde er sogleich von dem streng dreinblickenden Mädchen ermahnt, „dann wüsstest du, dass diese Frau zum ungarischen Hochadel gehört.“
Der Tabakspucker hatte sich so unauffällig wie möglich dem Mädchen genähert, denn es gefiel ihm trotz seiner altklugen Art.
„Dann kann er sich die ganze Mühe sparen“, erzählte er Vater und Tochter, um endlich mit ihnen ins Gespräch zu kommen. „Die Mächtigen und Reichen stecken doch alle unter einer Decke, außer sie beschließen plötzlich, sich zu bekriegen. Ich finde, dieses Gezeter wird langsam ermüdend. Wollen wir in eine Weinschenke gehen?“
Das Angebot war recht dreist gewesen, doch der Vater des Mädchens nickte mit leuchtenden Augen.
„Lass uns gehen, Tochter. Der Prediger verrät ja nicht einmal, was dieses Teufelsweib angestellt hat, und wiederholt sich ständig!“
Das Mädchen zog eine enttäuschte Miene.
„Ich würde wenigstens gern ihren Namen wissen. Den hat er noch gar nicht genannt.“
„Das wird er auch nicht“, erklärte ihr der Tabakspucker. „Dazu ist er zu vorsichtig. Es gibt hier nichts Neues mehr zu erfahren, aber ich kenne eine Schenke, wo der Lammbraten es mit den Speisen an fürstlichen Tafeln aufnehmen kann. Und eine so schöne Maid bekommt dazu sicher einen Krug Wein umsonst.“
Er lächelte das Mädchen an und beobachtete zufrieden, wie die weichen Wangen sich rosig färbten. Die Kleine hatte in ihrem Leben wohl noch nicht allzu viele Komplimente bekommen.
„Nun gut, wenn es der Wunsch meines Vaters ist“, gab sie auch schon nach. Der Tabakspucker legte seine Hand auf ihren Ellbogen, um sie aus der Kapelle zu führen. Der Vater folgte ihnen auf dem Fuß.
István Magyari sah von seiner Kanzel aus, wie die Ersten seiner Zuhörer sich entfernten, und für einen Augenblick versagte ihm die Stimme, da er von der langen Rede bereits heiser zu werden begann. Wie aussichtslos schien doch der Kampf, auf den er sich eingelassen hatte! Wie gering die Aussichten, eine Angehörige des mächtigsten ungarischen Adelsgeschlechts zu zwingen, sich an Gottes Gebote zu halten. Aber er hatte in die Abgründe der Seele dieses Weibes blicken können und würde nicht aufgeben, die Welt vor ihnen zu warnen, so lange Gott der Herr ihm die Kraft dazu gab.
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