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Zwei Tage später zog sie sich nach der Schule hastig um und wartete, bis Miss Jennings die Küche sauber gemacht hatte. Endlich erschien die Haushälterin mit Hut, Mantel und Handschuhen. Sie sah aus wie eine gottesfürchtige Frau aus der Mittelschicht, was den Nonnen hoffentlich gefallen würde. Cathy trug ihr kariertes Kleid mit Spitzenkragen, das auch bei Kirchenbesuchen angemessen war. Zusammen mit Mrs Jennings machte sie sie sich auf den Weg zur Bushaltestelle.
Sie kamen schließlich vor einem großen rot-braunen Gebäude an. Mrs Jennings klopfte an der Eingangspforte, über der das Relief einer Madonna mit Kind zu sehen war, und eine ältere Nonne erschien. Sie trugen ihr Anliegen vor, Rose O’Reilly besuchen zu wollen, die sich hier aufhielt.
Die Nonne runzelte die Stirn. »Das muss ich erst mit der Priorin besprechen. Solche Besuche müssen angemeldet werden.«
Mrs Jennings sah verwirrt aus. »Catherine Flanagan ist die Tochter eines angesehenen, gottesfürchtigen Bürgers unserer Stadt«, sagte sie entrüstet. »Sie und Rose O’Reilly kennen sich aus ihrer gemeinsamen Schulzeit. Falls Miss O’Reilly nun Novizin ist, so wird sie sicher …«
»Miss O’Reilly ist keine Novizin!«, unterbrach die Nonne. »Bitte fügen Sie sich den Anweisungen des Klosters, sonst muss ich Sie ersuchen zu gehen.«
Cathy mischte sich ein, um eine Eskalation zu verhindern. »Ich bitte Sie, mir eine Unterhaltung mit meiner alten Freundin zu erlauben, Schwester. Ich bin mir sicher, dass sie hier gut aufgehoben ist, doch vermisse ich sie schmerzlich und wäre dankbar, wenn ich wenigstens für eine Weile ihr Gesicht sehen dürfte.«
Die Züge der Nonne entspannten sich ein wenig, sie wiederholte die Aussage, mit der Priorin reden zu müssen, und verschwand. Das Tor wurde wieder geschlossen. Cathy und Mrs Jennings standen eine Weile draußen, während es zu regnen begann und ein eisiger Wind pfiff.
Eine gefühlte Ewigkeit verging. Der Ort begann düster und unwirtlich zu werden, doch dann ging das Tor wieder auf.
»Sie dürfen hereinkommen«, sagte die Nonne. »Für fünfzehn Minuten. Nicht länger.«
Eine böse Ahnung kroch durch Cathys Körper wie Gift. Wie war Rose nur an diesen Ort geraten, der an ein Gefängnis erinnerte? Sie hatte niemals zu unbeherrschtem, rebellischem Verhalten geneigt, sondern alle Regeln eingehalten, die ihr gesetzt worden waren.
Sie durchschritten einen schmalen Korridor und erreichten ein Zimmer, in dem ein Kruzifix an der Wand hing. Außerdem standen ein Tisch und drei Stühle darin.
»Hier finden Besuche statt«, sagte sie Nonne. »Wartet, ich hole die Büßerin.«
Cathy starrte ihr ratlos hinterher.
»Das ist ein seltsamer Ort«, murmelte Mrs Jennings und rieb sich die behandschuhten Hände. »Man friert, sobald man hereinkommt. Aber es ist ein Haus Gottes, also muss es alles … irgendwie richtig sein.«
Cathy schwieg, denn ihre Zunge fühlte sich schwer und lahm an. Sie hörte Schritte im Korridor, hob hoffnungsvoll den Kopf. Tief in ihr lebte noch die Erwartung, dass sich alles irgendwie klären würde. Rose hatte vielleicht dramatisiert, um sie zu einem Besuch zu drängen.
Die Tür ging auf, und eine andere Nonne trat ein, etwas älter, faltiger und mit einem unerbittlichen Zug um den Mund, der Cathy unruhig werden ließ.
»Ich bin Mutter Agatha, die Priorin. Man hat mir mitgeteilt, dass Sie Rose zu sehen wünschen. Sind Sie eine Verwandte?« Sie hatte ihren Blick auf Mrs Jennings gerichtet, die vor den stahlgrauen Augen zu schrumpfen schien.
»Ich bin Catherine Flanagan, die Tochter des Unternehmers Francis Flanagan«, meldete Cathy sich zu Wort. »Rose O’Reilly war meine Mitschülerin. Ihr … Bruder sagte mir, dass sie nun hier lebt, und ich wollte sie besuchen.« Eine innere Ahnung hatte ihr deutlich gemacht, dass sie Roses Brief keinesfalls erwähnen durfte. Nun geriet sie ins Visier dieser Mutter Agatha. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und sie spürte mit Widerwillen, dass sie zu schwitzen begann.
»Welcher von Roses Brüdern war es denn?«
»Der Ältere. Ich traf ihn zufällig in der Stadt.«
Leider hatte Cathy den Namen vergessen. Aber warum zum Teufel war das wichtig?
»Soviel ich weiß, ist der Seefahrer geworden und hält sich meistens im Ausland auf«, kam es unerbittlich von der Nonne.
Cathy bohrte ihre Füße in den Boden. »Er war eben auf Urlaub in Dublin. Kann ich jetzt Rose sehen?«
Die Lippen der Nonne schrumpften zu Strichen. »Es ist anmaßend, in einem Haus Gottes Forderungen zu stellen. Aber Rose ist hier. Sie können einen Moment mit ihr sprechen, denn lange kann sie ihre Arbeit nicht unterbrechen.«
Sie wandte sich um und winkte. Eine schmale, blasse Gestalt betrat den Raum. Cathy musste eine Weile starren, bis sie ihre einstige Freundin erkannte. Rose war niemals derart mager gewesen, und auf ihren Wangen hatte meist ein rosiger Farbton gelegen, den man hier weggewischt hatte. Außerdem hatte sie schöne Kleider geliebt, wofür Cathy sich niemals hatte begeistern können. Es tat weh, sie nun in einem farblosen Kittel zu sehen, der wie ein Sack an ihrem Körper hing.
Rose musterte ihren Besuch einen Moment. Freude erhellte ihr Gesicht, doch als Mutter Agatha sie ansah, senkte sie erschrocken den Blick.
»Eine frühere Mitschülerin wollte nach dir sehen«, erklärte sie Nonne überflüssigerweise. »Du kannst ihr sagen, dass du hier gut aufgehoben bist.«
Rose nickte zaghaft und setzte sich erst, als Mutter Agatha es ihr erlaubt hatte. Wieder sah sie Cathy kurz an und blinzelte dabei Tränen weg. Auf ihren Händen, die sie im Schoß gefaltet hatte, konnte Cathy gerötete Hautstellen und Brandblasen erkennen.
»Was für eine Arbeit machst du hier?«, fragte sie leise.
Rose zögerte einen Moment mit der Antwort, dann sprang Mutter Agatha auch schon ein. »Rose ist Wäscherin. Eine anständige, gottgefällige Arbeit.«
Und ganz sicher nicht das, was Roses Mutter sich für ihre Tochter gewünscht hatte, durchfuhr es Cathy. »Könnte ich allein mit meiner Freundin reden?«, bat Cathy nun und zwang sich, der Nonne ins Gesicht zu sehen.
»Das entspricht nicht unseren Gepflogenheiten. Es gibt hier auch nichts zu verbergen.«
Am liebsten hätte Cathy Mutter Agatha angebrüllt, aber das durfte sie nicht. »Na gut, dann würde ich gern wissen, warum Rose überhaupt hier ist.«
Die Nonne blickte von Mrs Jennings zu Cathy. »Die junge Dame scheint mir sehr vorlaut«, sagte sie mit einem künstlichen Lächeln. »Rose O’Reilly kam zu uns, weil die Schule, wo sie sich vorher aufhielt, es empfahl. Sie sollte vor üblen Einflüssen geschützt werden, für die sie sich anfällig gezeigt hatte. Hier im Hause des Herrn ist sie in Sicherheit.«
Rose zuckte kurz, sagte aber nichts. Cathy rang um Selbstbeherrschung. »Ich begreife nicht ganz, welche üblen Einflüsse …«
»Eine so junge Person kann diese Dinge nicht verstehen, und es steht ihr auch nicht zu, Entscheidungen darüber zu treffen«, unterbrach Mutter Agatha barsch. Dann blickte sie wieder zu Mrs Jennings, als erwartete sie Zustimmung.
»Miss Flanagan ist die Tochter eines einflussreichen Mannes und hat immer ihre eigene Meinung«, sagte die Haushälterin und lachte verlegen. »Aber ich bin mir sicher, dass eine heilige Frau wie Sie genau weiß, was richtig für die Mädchen in ihrer Obhut ist.«
Der Blick, den sie Cathy gleich darauf zuwarf, war flehend. Einer Nonne widersprach man nicht.
Cathy begriff, dass sie hier durch Auflehnung nichts würde erreichen können. Sie zwang sich, den Kopf zu senken, wie Rose es ihr vorgemacht hatte. »Wie lange soll Miss O’Reilly hierbleiben?«, fragte sie nun deutlich leiser.
»So lange, wie es notwendig ist«, erwiderte Mutter Agatha. »Bis sich ein anderer Platz für sie findet, wo sie vor den bösen Einflüssen der Welt geschützt ist. Ansonsten behalten wir sie in unserer Obhut.«
Rose sackte wie unter einem Hieb zusammen. Cathy warf ihrer Freundin einen kurzen Blick der Aufmunterung zu. Irgendeine Möglichkeit musste es geben, Rose von hier wegzubringen.
»So, die Besuchszeit ist vorbei. Rose sollte wieder an ihre Arbeit gehen«, meinte Mutter Agatha durchaus freundlich.
Mrs Jennings stand sogleich auf. Auch Rose erhob sich und schlurfte mit hängenden Schultern zur Tür. Nur kurz sah sie sich zu Cathy um. Ihre Augen flehten stumm um Hilfe, bevor sie den Raum verließ.
»Sister Claire wird Sie nach draußen bringen«, sagte Mutter Agatha, dann entfernte sie sich ebenfalls.
Nun konnte Cathy leichter atmen. Auch das Gesicht von Mrs Jennings blühte auf.
»So, jetzt können wir wieder nach Hause gehen. Ich habe noch einiges zu erledigen.« Voller Elan sprang sie auf.
Cathy folgte ihrem Beispiel, gleich darauf erschien wieder die Nonne von vorhin und sorgte dafür, dass sie das Kloster verließen. Als sie sich wieder auf der Straße befanden, kam Cathy alles wie ein schlechter Traum vor. Dublin war eine große, moderne Stadt mit Autos, Straßenbahnen und Fernsehgeräten, doch vor einigen Minuten hatte sie sich noch in einer mittelalterlich anmutenden Welt befunden.
»Warum sperrt man junge Frauen in diesem Kloster ein?«, fragte sie Mrs Jennings, als sie schon in der Straßenbahn saßen. Die Haushälterin fingerte nervös an ihrer Handtasche herum.
»Es wird schon alles seine Richtigkeit haben. Diese Nonnen folgen den Geboten Gottes. Zerbrich dir nicht den Kopf, deiner Freundin geht es dort sicher gut.«
»So hat sie aber nicht ausgesehen!«
Mrs Jennings senkte den Blick. »Es ist nicht klug, sich gegen die Kirche aufzulehnen«, sagte sie nun deutlich leiser. »Du hilfst dadurch weder dir selbst noch deiner Freundin. Nimm es hin und hoffe für sie, dass sie bald entlassen wird.«
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